Die Besiedlung

Weder mündliche noch schriftliche Nachrichten melden uns, wo sich die ersten Familien ansiedelten. Nach streifenden Jägern kamen wahrscheinlich seßhafte Bauern, die an einer Quelle oder in geschützter Lage an einem Bachlauf eine geeignete Stelle fanden. Ihnen standen die besten Böden bereit. Bisher wurde die Gemarkung noch nicht planmäßig nach Werkzeugen steinzeitlicher Menschen abgesucht. Immerhin läßt der Einzelfund eines Beils aus der jüngeren Steinzeit den Schluß zu, daß hier gesiedelt wurde. Unser unermüdlicher Heimatforscher Lehrer Georg Fieseler fand in der Anlage auf dem Gaulskopf Kratzer und Schaber derselben Zeit. Die Vermutung liegt also nahe, daß dort nicht nur eine Zufluchtstätte und Fliehburg, sondern eine feste Wohnung eingerichtet war. Nur Grabungen an Ort und Stelle können bei ihr wie bei der Wahlsburg entscheiden, ob sich diese Anlagen in die jüngere Steinzeit verlegen lassen oder als sächsische Volksburgen ergeben.Im westlichen Teil des Quasts, bereits Wrexer Gemarkung, fand Ober-Regierungsrat Hugo Schoppmann bei planmäßigem Suchen zwei Hügelgräber, am Hohen Stein und Königsberg jedoch fünf, und unmittelbar anschließend im Eichholz, keinen Kilometer von der Gemarkungsgrenze entfernt, siebzehn weitere. Hier handelt es sich um ganze Gräbergruppen. Ob sie zur ausgehenden jüngeren Steinzeit oder in die ältere Bronzezeit gehören, kann nur eine Grabung klären. So können wir an Hand dieser geringen Funde bereits von einer Jahrtausende alten Besiedlung sprechen. Weitere Zeugnisse der Vorzeit innerhalb der Feldflur sind wahrscheinlich durch die Nutzung schon vernichtet; die bestehenden sollte man unter allen Umständen erhalten.

Die Talauen der Diemel und die angrenzenden Verwitterungsböden sind stets ein begehrtes Ziel kleinerer oder größerer Stämme gewesen. Dort lag eine natürliche Grenze, von der man hoffen durfte, ins Vorfeld langsam einzusickern.

Um die Zeitwende saßen hier und nördlich davon die Cherusker. Gegen sie stießen in den nächsten Jahrhunderten aus dem Raum Fritzlar - Gudensberg die Chatten bis zur Werra und Diemel vor. Viele ihrer Ortsnamen enden auf -hausen, schleifen sich zum -sen ab; die Mundart hält in dieser Hinsicht die Namen stärker fest (Ammenhausen-Ammensen; Desen sowohl in Dehausen wie Desenberg). Die vielen -hausen um Lippstadt, Soest usw. zeigen , daß der chattische Einfluß weit nach Norden reichte. Im 7. Jahrhundert drängten von Norden die Engern bei uns vor und besetzten die nördliche Hälfte Waldecks. Ihre Marschrichtung dürfte, aus dem Diemeltal kommend, kenntlich sein an den -inghausen-Namen: von Erlinghausen über Heddinghausen, Billinghausen und Schmillinghausen nach Mengeringhausen sowohl wie westwärts von Bering- und Messinghausen über Hering- und Giebringhausen zur Linie Titmaring-, Düding-, Wellering-, Allering-, Meinering-, Dehring-, Ippinghausen. Und als im 8. Jahrhundert die Franken nach Norden aufbrachen, folgten ihnen die -heim-Namen auf dem Fuße: im Diemeltal Dalheim, Papenheim (Wüstung zwischen Warburg und Nörde), Rottheim (Wüstung zwischen Warburg und Germete), Ost- und Westheim. Die alten Siedlungen hatten bezeichnenderweise ihre Namen von Bach (Rimbeck, Rösebeck, Körbecke), Aue (Liebenau, Haueda, Germete von gar miti = grüne Aue), Sumpf (= mar in Marsberg und Volkmarsen) und Heide (Welda aus ithi, später ede; im 9. Jahrh. Wellithi, ll. Jahrh. Wellethe) und Wald (lon von loh = Hain, kleineres Gehölz, das einzeln in angebautem Felde liegt: Wormeln, Asseln) erhalten.

Läßt sich nun an Hand des Namens Wethen eine Bestimmung über die Zeit der Besiedlung geben? Man ist zunächst versucht, an die Getreideart zu denken. Wethen wie Weizen werden durch das plattdeutsche Wort Wäiten bezeichnet. Man muß diese Flur kurz vor der Ernte gesehen haben, wenn ein goldgelbes Weizenfeld mit dem andern wetteifert an Höhe des Halmes und Schwere der Ähren, dann wird sich der Gedanke aufdrängen: die Wethener Gemarkung ist in ihrer Gesamtheit eine große Weizenflur, daher muß sie ihren Namen bekommen haben. Der Schluß ist bestechend und könnte noch durch den Hinweis, das altsächsische Wort für Weizen heißt hweti, bestätigt werden. Als älteste Form erscheint um 900 das Wort Wetiun, um 1010 Whetiun, 1070 Wedin, 1147 Weten; die Schreibweise Weyten (1459), Weiten und Weitten (1537) hat sich anscheinend an die plattdeutsche Aussprache angelehnt. Der Sprachforscher wird auf das alte Wort wede - Wald (in der Bedeutung loh) hinweisen, und wenn wir uns das Gelände und die benachbarten Ortsnamen (Wormeln und Asseln sind mit lon = loh gebildet) betrachten, ist auch dieser Gedankengang nicht abwegig: im Hintergrund liegt das große Waldgebiet Eichholz - Quast von Welda bis Wrexen, davor die (baumbestandene) Heide von Welda vor dem Walde entlang bis vor die Diemel bei Rimbeck-Scherfede und darin sind einzelne fruchtbare Mulden urbar gemacht. Im Gebiet der jetzigen Gemarkung Wethen lagen neben dem Dorf noch die beiden Wüstungen Reckenen und Audaxen. Welche der drei Siedlungen den Vorrang hatte, wird sich kaum nachweisen lassen. In Wethen wird der erste Hof in der Nähe des Gemeindebrunnens, der Bückhelle, gebaut sein, den Bewohnern von Reckenen war das Wasser vom Ellerborn im Bachlauf ein köstlicher Trank, der auch für Audaxen nicht weit lag. Ihre Gründung wird für die Zeit von 600 - 900 anzusetzen sein, was nicht ausschließt, daß dort bereits früher Siedlungen vorhanden waren, die später ihren Namen erhielten. Zu den Einzelhöfen bauten die nachfolgenden Söhne weitere und erschlossen sich die nächste Umgebung; so entstanden Hofgruppen, wie wir uns unsere frühmittelalterlichen Siedlungen durchweg zu denken haben.

Wir sahen die Wellenbewegung der Stämme im Diemeltal etwa im Laufe eines Jahrtausends: von Norden stießen die Cherusker vor, ihnen begegneten von Süden die Chatten, wieder kamen von Norden die Engern und von Süden die Franken. Je nach ihrer Stoßrichtung benutzten sie die Berge als natürliche Verteidigungsanlagen, Von den vorgeschichtlichen Fliehburgen abgesehen, müßten die Chatten die Eresburg und den Gaulskopf verwendet haben, da der steile Nordhang den besten Schutz gegen angreifende Feinde aus dem Diemeltal bietet. Die Cherusker und Engern brauchten auf der Südseite nur den jeweiligen Zugang durch eine Schanze mit einem Tor zu befestigen und zu verteidigen, um einen gesicherten Rückhalt zu gewinnen; im Fall einer Erstürmung durch den Gegner stand dem einzelnen Mann immer der Weg nach Norden den Abhang hinunter offen. Zur Verteidigung dieser Volksburgen fanden sich alle Genossen der Mark bzw. des Gaues ein.

Die Franken bauten neben die alten Volksburgen im Sachsenlande häufig Königshöfe zur Sicherung des eroberten Gebiets. Das waren Wohnburgen, in denen Grafen oder Königsbauern saßen und in denen Vorräte und Lagerraum für durchziehende Heere zur Verfügung standen. Es ist durchaus denkbar, daß die Kurie Reckenen aus solchem Grunde entstanden ist. Eine Kuria hatte 5 Hufen, etwa 150 Morgen, die ein Freier bewirtschaftete; das andere Land wurde von Hörigen bestellt. So würde sich der Name der Siedlung leicht erklären (970 Rikine, 1128 und 1185 Rekene) als Reichsgut (mundartlich Rijk) als Reichsgut, das aus der umliegenden Mark gelöst wurde, und damit fände auch der benachbarte „Königsberg" als Königswald = königliches, Reichs-Eigentum seine Deutung. Wie in der Nähe von Goddelsheim, Korbach und Marsberg Gruppen von fränkischen königlichen Zinsbauern angesiedelt wurden (U. Bockshammer, Ältere Territorialgeschichte der Grafschaft Waldeck, S. 42), könnte es auch hier im Diemeltal erfolgt sein, um durch eine gelenkte Siedlung an den Hängen (Papenheim, Rottheim, Reckenen) Fuß zu fassen.

Allerdings wollen wir uns hüten, in jedem Ortsnamen einen bündigen Beweis für die Zeit seiner Entstehung zu finden. Noch um 1700 wurde Wrexen als Wrexheimb und Braunsen mit Braunsheimb bezeichnet und umgekehrt wandelte sich Lütersen in Lütersheim.


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Dieser Auszug aus Waldecksche Ortssippenbücher
Band 8 / Wethen wurde veröffentlicht auf http://www.wethen.de