Ansprache von Ortsvorsteher Volker Thöne am 15. November 2020 am Gedenkmal auf dem Wethener Friedhof
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
„Frieden und Freiheit, das sind die Grundlagen jeder menschenwürdigen Existenz.“
Dies sagte einmal Konrad Adenauer, der erste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland.
Ich danke Ihnen, dass Sie heute, trotz der Einschränkungen der Corona-Pandemie, hierhergekommen sind, um der vielen Frauen, Männer und Kinder aus unserem Land und vielen anderen Ländern zu gedenken, die Opfer von Krieg und Gewalt geworden sind.
Diese Menschen mussten viel zu jung sterben, weil Frieden und Freiheit der Boden entzogen worden war. Weil dies eben nichts Selbstverständliches war.
Wir erinnern heute an die schlimmsten Zeiten deutscher Geschichte, an die beiden Weltkriege und besonders die Nazidiktatur.
Wir gedenken der gefallenen Soldaten und der getöteten Zivilisten; wir erinnern an Menschen, die in der Gefangenschaft oder auf der Flucht umkamen; wir gedenken der Männer und Frauen, die ihren Widerstand gegen die Diktatur mit ihrem Leben büßen mussten; wir erinnern an Mitbürgerinnen und Mitbürger, die verfolgt und vernichtet wurden, weil sie als Juden oder Mitglieder ethnischer Minderheiten nicht in das rassistische Bild der Nazis passten.
Der Zweite Weltkrieg und die NS-Diktatur liegen lange zurück, aber ihre Schatten reichen bis heute. Die Zeit lindert den Schmerz, aber sie heilt nicht alle Wunden.
Am heutigen Tag gedenken wir gleichfalls der Opfer aus unserem Land und in vielen anderen Ländern, die die Kämpfe und Gewaltausbrüche unserer unmittelbaren Gegenwart gefordert haben. Auch jetzt, während wir uns zu einer stillen Stunde des Innehaltens, der Trauer und des Erinnerns versammelt haben, kämpfen woanders Menschen um ihr Leben oder sind in ihrer Freiheit bedroht, ob in Syrien oder irgendwo in den Weiten Afrikas. Die Frage nach Krieg und Frieden ist aktuell geblieben und der Krieg, alle Konflikte dieser Welt, werden uns jeden Abend frei Haus ins Wohnzimmer geliefert. Flüchtlingsströme aus aller Welt sind unterwegs und machen eines deutlich – Frieden ist noch lange nicht.
Uns führt heute die Trauer zusammen, verbunden mit dem Bestreben, die Opfer vor dem Vergessen zu bewahren. Denn wenn niemand mehr an sie denkt, dann sind sie endgültig tot, dann kann ihr Schicksal keinem mehr etwas sagen. Der Volkstrauertag setzt hier ein Zeichen: Und er fragt danach, welche Schlüsse sich aus der Vergangenheit ziehen lassen; er fragt, wo wir heute stehen und welche Werte uns wichtig sind.
Deshalb verwahren wir uns auch gegen alle Versuche der Neonazis, den Volkstrauertag für sich zu instrumentalisieren. Uns geht es um eine Welt, in der die Menschen in Frieden und Freiheit zusammenleben können. Uns geht es um ein Gedenken, das sich der Geschichte stellt und deshalb nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch auf die Gegenwart blickt.
Die meisten Konflikte und Gewaltausbrüche unserer Zeit tragen sich in Ländern und Regionen zu, die weit entfernt von uns liegen. Doch gehen sie uns deshalb nichts an? Es ist allein ein Gebot der Mitmenschlichkeit, nicht wegzuschauen. Aber es ist auch ein Gebot der Vernunft, zu versuchen, Krisen einzudämmen, denn Konflikte greifen oft und manchmal sehr schnell über ihren Ursprungsort hinaus.
Und, wie Sie wissen, sind wir ja auch längst in einige dieser fernen Konflikte involviert. Seit fast 25 Jahren beteiligt sich Deutschland an internationalen Einsätzen; seit fast 15 Jahren stehen Truppen in Afghanistan. Das ist länger, als die beiden Weltkriege des vorigen Jahrhunderts zusammen gedauert haben. Wie gehen wir damit um? Dass deutsche Soldatinnen und Soldaten ins Ausland geschickt werden, dass sie dort kämpfen, dass sie ihr Leben riskieren, das ist im öffentlichen Bewusstsein kaum präsent. Das liegt sicher mit daran, dass die Einsatz- und Kriegsschauplätze nicht nur geografisch weit von uns weg sind. In unserem friedlichen Land kann man es sich kaum vorstellen, wie das ist, in einem Krisenherd zu agieren und in Kämpfe verwickelt zu werden, und viele möchten das auch gar nicht.
In Europa haben die Politiker, haben die Menschen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Untergang der Nazidiktatur auf Annäherung und Aussöhnung gesetzt. Dieser Weg war oft nicht leicht, aber er erwies sich als gangbar und wirkungsvoll. Er hat zu Verständigung und einer immer größeren Einigung geführt, er hat unserem von so vielen Kriegen geschüttelten Kontinent die längste Friedensepoche seiner Geschichte gebracht. Heute erleben wir vielfach, wie sich manchmal schon in unseren Dörfern roher Streit und Missgunst wegen zum Teil nichtiger Anlässe herausbilden. Das sollte uns aufmerksam machen und wir sollten uns gegen solche Entwicklungen, bei allem notwendigen Ringen um richtige Wege und zukunftsweisende Entscheidungen stellen.
Denn die Versöhnung über den Gräbern, die 1945 fast utopisch wirkte, hat wirklich stattgefunden und sie gilt es nachhaltig zu schützen.
Gerade wir wissen aus unserer Geschichte sehr genau, dass Freiheit und Demokratie nicht von allein entstehen und nicht von allein erhalten bleiben. Sie brauchen vielmehr Menschen, die sie erkämpfen und bewahren, die sie schützen und stärken. Die Werte, die wir schätzen und die die Grundlage unserer Gesellschaft bilden, sie sind keine selbstverständlichen Güter.
Und deshalb kommt Gedenktagen wie dem Volkstrauertag nach wie vor ein hoher Stellenwert zu. Ein Gedenken, das sich der Geschichte stellt und daraus Rückschlüsse zieht, sensibilisiert dafür, bedrohliche Entwicklungen oder die Verharmlosung von Gewalt rechtzeitig zu erkennen; es sensibilisiert dafür, jeden Menschen zu achten, ungeachtet seiner Herkunft oder seiner Konfession; es sensibilisiert dafür, Frieden und Freiheit hoch zu schätzen.
Zum Gedenken lege ich nun im Namen der Stadt Diemelstadt einen Kranz nieder.