Shalom - das Utopia auf einem alten
Bauernhof
Die 60 Bewohner des Laurentiushofes suchen ihren Weg zum Frieden
aus: Waldeckische Landeszeitung vom 27. Mai 1989 (offensichtliche Druckfehler
z.T. korrigiert)
Wer sind die Menschen, die einen umgebauten Bauernhof in der Mitte des 500-Seelen-Ortes bewohnen? Was unterscheidet sie womöglich von den übrigen Einwohnern? Was bringt sie dazu, ein Leben nach anderen Normen in einer großen Gruppe zu führen?
Gemeinsame Kasse
Shalom - dem Frieden dienen, heißt für Frau Hinkel, den Dienst
mit der Waffe abzulehnen sowie sich auf verschiedenen gesellschaftlichen
Ebenen und in der Kirche für das hehre Ziel einzusetzen. Die
überwiegend akademisch gebildeten Männer und Frauen - ein
Großteil mit Familien - üben unterschiedliche Berufe aus. Sie
haben sich dazu verpflichtet, ihren Verdienst in eine gemeinsame Kasse zu
geben, aus der sowohl gemeinsame Anschaffungen, die Gebäudeunterhaltung
oder Lebensmittel bezahlt werden, als auch ein deutscher Dritte-Welt-Fonds
unterstützt wird. "Das heißt nicht, daß jemand sein Haus
verkaufen muß", fügt Gisela Hinkel hinzu.
Auf der gemeinsam geschaffenen materiellen Grundlage wollen die Neu-Wethener
im Sinne des heiligen Laurentius, der sein Leben den Armen widmete,
Änderungen in der Kirche und in der Gesellschaft herbeiführen,
wie Frau Hinkel berichtet. Änderungen, die den Frieden in de Welt ein
Stück näherbringen sollen.
Auch Widerspruch
Die Leute vom Laurentiushof lassen sich den Worten Frau Hinkels zufolge nicht
ausschließlich als Missionare charakterisieren. Friedensarbeit sei
nicht sinnvoll, wenn man Nicht im kleinen Kreis damit beginne. In der Gruppe
wollen die Bewohner des Hofes lernen, miteinander auszukommen, Geld und Ideen
zu teilen.
Die Männer und Frauen engagieren sich teilweise in der evangelischen
Kirchengemeinde. Pfarrer Wolfgang Kelm beispielsweise steht mit einem Bein
in der Wethener Gemeinde und mit dem anderen im Laurentiushof. Darüber
hinaus widmen sich die Menschen etwa der Gefangenenhilfsorganisation "amnesty
international", setzen sich gegen die Nutzung der Atomkraft oder für
Hilfsaktionen in Nicaragua ein. Die Bewohner der christlich geprägten
Kommune ernten für ihren Einsatz nicht nur Anerkennung, sondern stoßen
zweifelsohne auch auf Widerspruch.
Ökumene fördern
Der seit 30 Jahren bestehende Laurentiuskonvent als Dachorganisation will
in seinen Gruppen in Wethen, bei Salzkotten, Wetzlar und Königswinter
die Ökumene fördern. Das geistliche Leben unterscheidet sich daher
auf dem Hof von dem der alteingesessenen Nachbarn. Das Gruppenleben umfaßt
zum Tagesabschluß die stille Meditation, Gebete oder Gesang. Sonnabends
kommen die Bewohner zum Shalom-Gebet zusammen, und einmal monatlich wird
eine Eucharistiefeier abgehalten.
Die Bindung an die evangelische Kirche ist nach Auskunft von Frau Hinkel,
die selbst dem Wethener Kirchenvorstand angehört, unterschiedlich
ausgeprägt. Daß die Laurentius-Jünger zum Abendmahl nicht
im herkömmlichen Sonntagsstaat, sondern in Jeans und selbstgestricktem
Pullover erscheinen, wird von Einwohnern zwar kritisch beobachtet, führt
allerdings nicht zur offenen Auseinandersetzung.
Insel der Alternativen
Gleichwohl wird offenkundig, daß die zugezogenen Alternativen
innerhalb des Dorfes wie auf einer Insel leben. Die Kontakte zwischen ihnen
und der Bevölkerung sind nicht sonderlich intensiv, das bringen die
unterschiedlichen Auffassungen und Lebensweisen mit sich. Zwar bieten sich
Möglichkeiten, den Hof kennenzulernen, doch man kommt nicht einfach
so auf den Laurentiushof, sagt Frau Hinkel.
Wer sich für das Zusammenleben auf dem früher landwirtschaftlichen
Anwesen, das mit Hilfe der evangelischen Kreditgenossenschaft zu einem schmucken
Gebäudekomplex umgestaltet und vom Trägerverein angemietet worden
ist, und im zusätzlich 1986 gepachteten Gasthaus Flamme entschieden
hat, muß viel Zeit und Kraft aufbringen. Nicht alle schaffen
das: Einige sind seit den Anfangsjahren geblieben. Andere haben die
räumliche Distanz in Wethen oder anderswo gesucht, wird berichtet.
Andere haben sich von der Gruppe verabschiedet, weil das nicht ihr
Weg war.
Impulse aus Germete
Wer kommt, sollte dem Gruppenleben Vorrang einräumen, seine
Lebensziele formuliert haben, einen Beruf ausüben und nicht mit allzuviel
persönlichen Problemen belastet sein, meint die Hof-Sprecherin.
Die dort lebenden Menschen seien keine Aussteiger, wollten vielmehr Verantwortung
für die Gesellschaft übernehmen, und sie seien kein therapeutisches
Auffangbecken.
Die Gemeinschaft hat sich auf eine Anregung der Germeter Serviam-Schwestern
hin in Wethen etabliert. Die Ordensangehörigen haben für die in
Köln, Mönchengladbach und Minden mit 70 Mitarbeitern tätige
Ökumenische Förderergemeinschaft für soziale Dienste
- Kirche in Not Sozialarbeit geleistet. Mit dem damaligen
Geschäftsführer dieser Vereinigung Pfarrer Kelm, der Mitarbeiterin
Gisela Hinkel und zwei weiteren Beschäftigten ist ihr Sitz Mitte der
70er Jahre in den Diemelstädter Ortsteil verlegt worden.
Dieses Dokument wurde veröffentlicht auf http://www.wethen.de