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Willi Diedrich, der Maler der nordwaldeckischen
Landschaft aus: Waldeckischer Landeskalender 1998, Wilhelm Bing Verlag Korbach / Bad Wildungen (dort sind auch einige Bilder von Willi Diedrich abgedruckt) In vielen Häusern im Norden unseres Kreisgebietes hängen Bilder von Willi Diedrich, auf denen er die Landschaft seiner näheren Umgebung und vor allem den Wald, den er so liebte, in seiner besonderen Eigenart dargestellt hat. Willi Diedrich, der 1925 in Wethen geboren wurde, hat den größten Teil seines Lebens in seinem Heimatdorf verbracht. 1986 ist er plötzlich verstorben; er war voller Pläne und Ideen und hatte gerade damit begonnen, neue Techniken zu erproben. Wie kommt ein Waldecker Dorfjunge dazu, sich der Malerei zu widmen? Als Willi Diedrich die einklassige Dorfschule in Wethen besuchte, hatte er noch keine künstlerischen Ambitionen. Nach Beendigung der Schulzeit gab es für ihn und die Jungen seines Jahrgangs keine Berufsprobleme. Deutschland befand sich im Krieg. Seine Klassenkameraden landeten blutjung nach kurzer Ausbildungszeit an der Ostfront. Willi Diedrich hatte sich als einziger zur Luftwaffe gemeldet und durchlief eine längere Ausbildungszeit. Gegen Ende des Krieges wurde er noch in Frankreich eingesetzt. Als Zwanzigjähriger geriet er in englische Kriegsgefangenschaft und wurde in ein Lager bei Gent gebracht, in dem mehrere tausend deutsche Kriegsgefangene auf engstem Raum zusammengepfercht waren.
Begegnung mit der Kunst Das Kriegsgefangenenlager entwickelte sich schnell zu einer Art Universität und Akademie mit einem breiten Veranstaltungsprogramm. Die Engländer unterstützen diese Bemühungen durch Beschaffen von Büchern und Material. Hier erfuhr so mancher junge Soldat, daß es noch eine ganz andere Welt gab, die ihm bisher verschlossen war. Die "Dozenten" hatten später nie ein dankbareres Auditorium als damals. In diesem Lager, in dem die Künstler unter den Kriegsbedingungen versuchten, mit den einfachsten Materialien etwas zu schaffen, wurde Wilhelm Diedrich zum erstenmal mit der Kunst konfrontiert, die von da an sein Leben bestimmen sollte.
Schwierige Lehrjahre Auf die Frage nach einem Bild aus seinen Anfängen kramte Willi Diedrich bei einem Besuch aus der hintersten Ecke seines Ateliers den Kopf einer Kuh hervor. "Das war die Lotte, die stand bei uns ganz vorn im Stall und war die einzige ganz braune Kuh, die wir hatten." Und beinahe verlegen wies er dabei auf einen kleinen Fehler hin: "Hier über dem Auge die Partie ist zu stumpf. Die hätte noch aufgehellt werden müssen." Viele Jahre später wünschte sich seine ältere Tochter Ulrike von ihrem Vater ausgerechnet ein Bild mit Kühen. Da enstand das Bild mit den drei Kühen, die auf der Weide unter einem Baum stehen und die Köpfe zusammenstecken, als wollten sie sich etwas erzählen. Es sind keineswegs "dumme Kühe", wie man im Volksmund oft leichtfertig sagt, sondern Tierporträts, gemalt von einem Mann, der die Wesensart dieser kontaktfreudigen Rindviecher genau kennt. Das helle Licht eines Frühsommertags liegt über der Weide und dem schattenspendenden Baum. Ein heiteres Bild, das eine ganz alltägliche Szene festhält und ihr Dauer verleiht. Der Vergleich dieser beiden "Kuhbilder" zeigt zugleich die Entwicklung des Malers von den ersten noch etwas steifen Bemühungen bis zu einer ganz selbstverständlich wirkenden Leichtigkeit, die er in den besten seiner späteren Bilder erreicht.
Brotberufe Willi Diederich fand eine Anstellung in einer Rahmenfabrik in Niedermarsberg. Hier wurde ihm ein Atelier eingerichtet, in dem er neben seiner beruflichen Tätigkeit seine künstlerischen Fähigkeiten autodidaktisch weiter ausbilden konnte. Mit Vorliebe kopierte er deutsche Maler des 19. Jahrhunderts, an denen er das große handwerkliche Können besonders schätzte. Daneben begeisterte er sich an den lichtdurchfluteten Bildern der französischen Impressionisten, die ihm für seine eigenen Arbeiten als Vorbild dienten, selbst wenn es nicht die gleißende Sonne des Südens war, die er einfing, sondern das weniger starke Sonnenlicht, das unsere Breitengrade bescheint.
Sprung in die Selbständigkeit Wethen ist nicht gerade ein Ort, der einem Maler zahlreiche künstlerische Anregungen und den so notwendigen Austausch mit Künstlerkollegen bietet. Auch das Absatzgebiet für Kunst ist nicht gerade groß. So war Willi Diedrich gezwungen, einen großen Teil seiner Bilder für Galerien zu malen, die seine Bilder an Kunden verkauften, die er selbst nie zu Gesicht bekam. Gefragt waren hier vor allem die "schönen" Bilder. Meist waren das frei erfundene Sommerlandschaften, handwerklich hervorragend gemalt, mit einem raffinierten Bildaufbau und einer interessanten Lichtwirkung. Oft schimmert das Sonnenlicht von hinten durch die Bäume und wird durch das Grün gebrochen. Malerische Seen und Straßencafés, die an die Bilder französischer Impressionisten erinnern, waren neben Jagdszenen gefragt. Die "Galeriebilder" zeigen alle eine heile, schöne und völlig problemlose Welt, heitere Wohnzimmerbilder, die ihre Besitzer von den Sorgen des Alltags ablenken. "Jetzt ist wieder der Königssee dran," pflegte Willi Diedrich mit einer gewissen Selbstironie zu sagen, wenn er sich seinem Broterwerb widmen mußte. Diese Auftragsarbeiten förderten zwar die handwerkliche Geschicklichkeit, sind aber zugleich neben der dörflichen Abgeschiedenheit ein Grund dafür, daß sich Willi Diedrichs Welt deutlich erkennbar in Pflicht und Kür spaltete und es relativ lange dauerte, bis er seinen unverwechselbaren persönlichen Stil entwickeln konnte.
Begeisterter Jäger Jeder Winkel in den heimischen Wäldern war Willi Diedrich vertraut. Er wußte, wo es Versteinerungen oder seltene Pflanzen gab, und interessierte sich für die heimatgeschichtlichen Überlieferungen in der näheren und weiteren Umgebung. Wenn ihn im Wald eine besondere Ansicht fesselte, setzte er sich von der Jagdgesellschaft ab und ließ sich am Wegrand nieder, um ein bestimmtes Motiv festzuhalten. Dabei entstanden seine schönsten Bilder, ein winterliches Waldstück in der Dämmerung, die alte Brücke über die Orpe, die Weiden am Bach oder die "Friederikeneiche", ein knorriger alter Baum auf einer Waldwiese, mit kraftvollen Pinselstrichen festgehalten.
Der Tiermaler Viele Bilder von Willi Diedrich befinden sich im Besitz von Familien im Bereich der Großgemeinde Diemelstadt. Darunter sind auch einige "auf Bestellung" gemalte Szenen mit den beliebten röhrenden Hirschen und anderen Tieren des Waldes, jedoch überwiegend stimmungsvolle Waldlandschaften von künstlerischer Qualität. Willi Diedrich, der gern an den Jagden rund um Diemelstadt teilgenommen hat, war im Laufe der Jahre zum "Haus- und Hofmaler" des Forstamtes geworden. Wenn jemand ein Jubiläum feierte oder in Pension ging, war ein Gemälde von Willi Diedrich ein hochwillkommenes Geschenk. Oft durfte sich der Beschenkte eine bestimmte Ansicht auswählen, zu der er im Laufe der Jahre eine besondere Beziehung entwickelt hatte. Wenn dann gerade rechtzeitig zur Feier das Bild eintraf, war oft das Öl noch feucht. Eine Bekannte der Familie, die sich für die Technik des Malens interesssierte und damals in Wethen öfter Willi Diedrich in seinem Atelier besuchte und beobachtete, wie die Bilder sozusagen aus dem Nichts auf der Leinwand entstanden und wuchsen, erinnert sich, daß Willi Diedrich manchmal gesagt hat: "Wenn ein Bild in zwei bis drei Stunden nichts geworden ist, wird es überhaupt nichts mehr!"
Vorbild Willi Tillmans Studienreisen führten Willi Diedrich ab 1970 nach Österreich und Ungarn und ab 1975 regelmäßig auf die Insel Sylt. Hier hat Willi Diedrich intensiv gemalt und gezeichnet. In Westerland fand eine Ausstellung mit Willi Diedrichs Bildern statt. Die meisten seiner Nordsee-Bilder wurden von Feriengästen erworben und sind heute nicht mehr greifbar.
Einsatz für sein Heimatdorf
Der Zeichner Die Gemeinde Volkmarsen gab 1985 einen Kalender heraus, für den Willi Diedrich Ansichten aus den einzelnen Ortsteilen gezeichnet hatte. Bereits in wenigen Jahren danach hat sich so manches verändert, so daß diese Zeichnungen heute außer ihrem künstlerischen auch einen dokumentarischen Wert besitzen.
Neue Techniken Sehr gelungen sind dagegen die großformatigen Blumenbilder, bei denen er mit der künstlerischen Technik experimentiert hat. Das sind leuchtender Rittersporn in hellen und dunklen Blautönen und eine Königskerze, deren sonnengelbe Blüten aus dunklem Grund hervorleuchten. Daneben Mohnblumen, die an Emil Nolde erinnern, und strahlende Sonnenblumen. Diese Bilder, die immer weiter von der naturalistischen Form abrücken und besonders durch die Farbe wirken, hat Willi Diedrich zunächst mit Ölfarben auf eine Glasplatte gemalt. Dann hat er sie auf Leinwand gedruckt, wobei er bis zu drei Abdrucke von einem Motiv herstellen konnte. Dadurch, daß die Bilder noch nachgearbeitet wurden, wo etwa die Farbe nicht in der gewünschten Weise gedeckt hatte, unterschieden sich die einzelnen Glasdrucke deutlich voneinander. Wenn man die Entwicklung des Wethener Malers verfolgt, gewinnt man den Eindruck, daß Willi Diedrich, der sich unter schwierigen Bedingungen zur Kunst als Beruf entschlossen hatte und durch den Broterwerb genötigt war, viele Kompromisse einzugehen, sich besonders in seinen letzten Lebensjahren von manchen Zwängen befreien konnte und zu seinem eigenen Stil gefunden hatte. Er war voller Pläne, Ideen und Vorstellungen, als ihn im Alter von 60 Jahren plötzlich der Tod ereilte. |